Touchscreen statt Taste Moderne Technik erhöht die Unfallgefahr
Der Verkehrspsychologe Dr. Thomas Wagner hält „Gütesiegel“ für ablenkungsarme Gestaltungslösungen für überlegenswert.
Ostfriesland - Laut Straßenverkehrsordnung dürfen Autofahrer elektronische Geräte wie das Smartphone oder ein mobiles Navi nicht benutzen, wenn sie das Gerät dazu in der Hand halten. Verstöße werden inzwischen mit mindestens 100 Euro Bußgeld und einem Punkt in Flensburg geahndet. Bei Unfall sind sogar 200 Euro, zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot fällig. Fachleute wie Stefanie Ritter halten die Strafen für berechtigt: „Autofahren heißt verstehen, entscheiden, richtig reagieren, und das alles in Echtzeit – dazu brauchen wir 100 Prozent Aufmerksamkeit“, erklärt die Unfallforscherin der Prüforganisation Dekra.
Im krassen Gegensatz zu dieser fundierten Aussage steht die noch immer weiter zunehmende Digitalisierung der Cockpits: Leicht erreichbare und bedienbare Knöpfe, Tasten und Drehregler werden zunehmend verbannt, die Armaturentafeln bestehen aus großen Farbdisplays mit Touchscreen-Funktionen. „Die moderne Fahrzeugtechnik, die eigentlich beim Fahren unterstützen soll, verschärft das Ablenkungsproblem teilweise noch“, sagt Dekra-Pressesprecher Wolfgang Sigloch. „In neueren Modellen mit Touch-Displays sind wichtige Bedienelemente mitunter in Menüs versteckt.“ Das hat Auswirkungen: „Entsprechend verlängert sich die Blindfahrt“.
Für Dr. Thomas Wagner ist deshalb nach wie vor die Einführung einer Art „Gütesiegel“ für ablenkungsarme Gestaltungslösungen überlegenswert. Dieses Siegel gibt es zwar bis heute nicht, aber: „Manche Hersteller haben angekündigt, umzusteuern“, erläutert Wolfgang Sigloch. Grund für den Sinneswandel der Konzerne dürfte die Ankündigung der europäischen Fahrzeugsicherheits-Organisation sein, mutmaßt Wolfgang Sigloch: „Euro NCAP hat angekündigt, bei der Beurteilung von Neuwagen für zu viel Touchscreen-Bedienung künftig Punkte abzuziehen.“
Wer aktuell ein Auto mit viel Touch und wenig Tasten fährt, kann sich nur den Rat von Unfallforscherin Stefanie Ritter zu Herzen nehmen: „Wer vom Verkehr weg aufs Display schaut, nimmt zentrale Informationen nur noch am Rande wahr, etwa ein Kind am Straßenrand, das Stau-Ende oder ein langsames Fahrzeug. In einer Notsituation, die jederzeit auftreten kann, ist eine angemessene Reaktion oft nicht mehr möglich, denn das ‚Umschalten‘ kostet wertvolle Zeit.“
Fahrer-Tipps
• Alle Aufgaben mit Ablenkungspotenzial sollte man vor dem Losfahren erledigen: Sitzposition, Innen- und Außenspiegel sowie Radio/Audioanlage einstellen, Fahrziel im Navi eingeben • Smartphone vor Fahrtantritt mit der Freisprecheinrichtung koppeln • Auch mit Freisprecheinrichtung keine schwierigen oder emotional aufgeladenen Themen telefonisch besprechen • In fremden Fahrzeugen vor dem Losfahren mit der Lage der wichtigsten Bedienelemente vertraut machen (Blinker, Scheibenwischer, Licht, Lüftung und Heizung, Warnblinker) • Bei Fahrten mit Kindern Verpflegung mitnehmen, für Unterhaltung sorgen • Sich vom Beifahrer unterstützen lassen (Audioanlage, Navi bedienen) • Möglichst keine negativen Emotionen mit ins Auto nehmen • Lieber mal eine Pause machen als sich zu Multitasking verleiten lassen