Fußball-WM in Katar WM-TV-Boykott – was für eine moralische Glanzleistung

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Ein Kommentar von Stephan Schmidt
| 19.11.2022 10:11 Uhr | 3 Kommentare | Lesedauer: ca. 2 Minuten
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Ein übergroßer Fußball steht auf einen Kreisverkehr vor dem Al Shamal-Stadion. Die deutsche Nationalmannschaft wird in diesem Stadion während der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar trainieren. Foto: DPA
Ein übergroßer Fußball steht auf einen Kreisverkehr vor dem Al Shamal-Stadion. Die deutsche Nationalmannschaft wird in diesem Stadion während der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar trainieren. Foto: DPA
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Deutsche versuchen gerade, sich gegenseitig ihre moralische Integrität zu beweisen – indem sie keine WM-Spiele schauen. Doch das ist nutzlos und verlogen. Ein Kommentar.

Als vor vier Jahren die Fußball-WM in Russland ausgetragen wurde, gab es in Aurich echte WM-Stimmung. Die Spiele der deutschen Mannschaft wurden im Kino-Center an der Emder Straße gezeigt. Ein Wirt in der Innenstadt ließ für jeden deutschen Treffer einen Schnaps springen. Und bis zum kläglichen Ausscheiden in der Vorrunde flatterten an vielen Auricher Autos Deutschland-Fähnchen. Moment – Russland?

Ja, jenes Land, das 2014 das Völkerrecht gebrochen hatte, indem es die Krim annektierte. Jenes Land, das Oppositionelle ins Gefängnis sperrte und in dem regierungskritische Journalisten ermordet aufgefunden wurden. Jenes Land, in dem Homosexuelle kriminalisiert wurden. Russland war auch vor dem Überfall auf die Ukraine ein Unrechtsstaat.

Wirkungsvoller wäre ein Verzicht beim Heizen - aber keiner will frieren

Boykottaufrufe waren damals kaum zu hören. Vier Jahre später ist es anders. Gefühlt jedem Fußballfan wird die Gretchenfrage gestellt: Guckst du oder guckst du nicht? Als würde das irgendetwas ändern. Die Deutschen überbieten sich gerade in dem Versuch, sich gegenseitig ihre moralische Integrität beweisen zu wollen – indem sie die Glotze auslassen, während die deutsche Mannschaft kickt. Was für ein Glanzstück moralischen Verhaltens.

Wirkungsvoller als ein TV-Verzicht wäre es, künftig weniger zu heizen. Das Gas könnte aus Katar eingeführt worden sein. Aber frieren will auch keiner.

Deals mit undemokratischen Staaten sind Teil des Geschäftsmodells

Deutsche Politiker und deutsche Wirtschaftsbosse schließen Geschäfte mit korrupten, undemokratischen Staaten ab. So ist es schon lange, und so wird es auch bleiben. Solche Deals sind Teil des deutschen Geschäftsmodells.

Der ehemalige VW-Chef Herbert Diess sagte vor einigen Tagen in einer Talkshow, China leiste „einen großen Beitrag zu unserem Wohlstand“. Stimmt. Nicht nur die hiesigen Volkswagen-Beschäftigten profitieren, zumindest indirekt, von den hohen Absatzzahlen in Asien. Airbus hat im Sommer für 35 Milliarden Euro fast 300 Flugzeuge nach China verkauft. Zur Erinnerung: China ist ein totalitärer Überwachungsstaat, in dem die Menschenrechte wenig zählen.

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Um es klar zu sagen: Die WM hätte nie nach Katar vergeben werden dürfen. Doch die Entscheidung wurde schon 2010 gefällt. Den Fußballfans jetzt, kurz vor dem Anpfiff, eine Art moralische Verantwortung aufzuerlegen, ist ziemlich verlogen – und auch nutzlos.