Aurich

ON-Weihnachtsaktion: Hilfe durch Zuhören

Franziska Otto
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Von Franziska Otto
| 15.12.2020 20:43 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Der ehemalige Pastor Ahlrich Flessner arbeitet seit sechs Jahren ehrenamtlich bei der Auricher Tafel. Menschen zu helfen, ist seine Berufung. Manchmal reicht dafür schon ein offenes Ohr.

Aurich. Ob es nun die Mutter ist, die ihr Kind verloren hat, oder der Senior, der von seiner Rente nicht leben kann: Bei der Tafel in Aurich treffen Menschen mit schweren Schicksalen aufeinander. Lebensmittel von der Tafel anzunehmen, kostet für viele Kunden Überwindung. Manchmal brauchen sie einfach nur jemanden, der ihnen zuhört. Und dann ist Ahlrich Flessner für sie da.

Seit fast sechs Jahren ist Ahlrich Flessner bei der Auricher Tafel aktiv. Er begann als Fahrer und holte Lebensmittel von den umliegenden Supermärkten ab. Bis ein Fahrer seine drei Touren pro Tag abgefahren hat, vergehen mehrere Stunden – und das dreimal pro Woche. 50 bis 80 Kisten voller Waren kommen da pro Tour zusammen. Später wechselte der 71-Jährige in die Leitung der Auricher Ausgabestelle der Tafel. Fünf Tage in der Woche verbrachte er dort. „Das war etwas viel.“ Nach drei Jahren gab er den Posten an Anja Thedinga ab. Inzwischen kommt er nur noch an vier Tagen in der Woche zur Ausgabestelle. Es sei denn, es wird noch Hilfe benötigt. Dann springt er jederzeit ein.

Tafel im Corona-Modus

Derzeit arbeiten in der Auricher Tafel zwei Fahrer, fünf Sortierer, sechs Ehrenamtliche für die Warenausgabe und zwei kontrollieren am Eingang die Einhaltung der coronabedingten Vorschriften. Zum Team der Tafel gehören aber noch viel mehr Menschen. Die können aber derzeit nicht kommen, da sie zur Risikogruppe gehören, sagt Anja Thedinga.

Die Tafel in Aurich arbeitet derzeit im Corona-Modus. Normalerweise können die Kunden bei der Ausgabestelle wie in einem Supermarkt einkaufen. Wegen Corona geht das nicht mehr. Nun treten sie an ein Ausgabefenster und bekommen eine Kiste mit einer Auswahl an Lebensmitteln. „Da ist von allem etwas dabei“, sagt Anja Thedinga. Für Extra-Wünsche ist trotz Corona auch noch Zeit. Auf Nachfrage werden auch besondere Waren, wie zum Beispiel Babynahrung, ausgegeben.

Nachfragen, Zuhören, Helfen

Für die Kunden sind die Ausgabestellen der Tafel aber nicht nur eine Möglichkeit, um Lebensmittel zu kaufen. Sie bieten einen Ort, an dem man sich trifft – derzeit wegen Corona mit Abstand. Gerade für Menschen, die Arbeitslosengeld bekommen, ist soziale Isolation ein Problem. Deswegen geht Ahlrich Flessner dem nach, was er am besten kann: Er hört zu. Von 1977 bis 2014 war er als Pastor in verschiedenen Gemeinden tätig. Er unterrichtete Religion und arbeitete als Gefängnisseelsorger. „Das ist eine Berufung“, sagt der 71-Jährige. Ein Job, der niemals endet.

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Mit zwei Tafel-Fahrern auf Tour
14.12.2020
Als er im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand ging, wollte Ahlrich Flessner nicht einfach aufhören zu arbeiten. Er wollte etwas Gutes tun, wie viele andere ehrenamtliche bei der Tafel auch. Schnell merkte er, dass die Kunden nicht nur Lebensmittel brauchen. Zu viele wissen nicht, wohin mit ihren Problemen. „Es ist wichtig, sie zu sehen“, sagt Ahlrich Flessner. Damit meint er nicht, dass man sie einfach nur ansehen soll. Viele Kunden tragen eine Maske – keine aus Stoff, um das Infektionsrisiko zu senken, sagt der 71-Jährige. „Manchen Leuten fällt das Lachen aus dem Gesicht, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.“ Der ehemalige Pastor fragt nach, hört zu und hilft, wo er kann.

Nächstenliebe ist jetzt besonders wichtig

Die Menschen, die zu den Ausgabestellen der Tafeln gehen, haben oft Ablehnung in ihrem Leben erfahren. Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt, manche schämen sich dafür, dass sie Hilfe brauchen. Einige der ehrenamtlichen Helfer wissen, wie das ist. Auch sie brauchen manchmal Hilfe von dem ehemaligen Pastor. „Probleme gibt es, wo Menschen sind. Man muss nur hingucken“, sagt er. Jeder hat sein Päckchen zu tragen – manche benötigen nur etwas Hilfe dabei.

Dass Ahlrich Flessner sofort merkt, wenn es jemandem nicht gut geht, verdankt er jahrelanger Erfahrung aus dem Pfarramt. Aus seiner Zeit als Gefängnisseelsorger kennt er den Umgang mit Menschen, die sich von der Gesellschaft abgelehnt fühlen. Trauer, Niedergeschlagenheit, Depressionen: „Wer so etwas selbst noch nicht erlebt hat, wird wenig Verständnis dafür haben.“

Man darf die Menschen nicht vergessen, sagt Ahlrich Flessner. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit sei die Nächstenliebe besonders wichtig. Auch, wenn man sie aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht so zeigen kann, wie man gerne würde. „Der Schutz der Menschen geht vor“, sagt der 71-Jährige. Außerdem gebe es noch viel mehr Möglichkeiten, um anderen Menschen zu zeigen, dass sie einem wichtig sind. Das gehe aber nicht mit einem über das Handy verschicktem Foto. „Das guckt man sich nur einmal an“, sagt Ahlrich Flessner. Viel schöner sei da eine Weihnachtskarte. Die lese man immer wieder und denke an die Liebsten.

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