Aurich

ON-Weihnachtsaktion: Ehrenamt aus Leidenschaft

Franziska Otto
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Von Franziska Otto
| 01.12.2020 21:29 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Die Moordorferin Anja Thedinga arbeitet seit fünf Jahren bei der Auricher Tafel. Sie will damit etwas Gutes für Menschen tun, die Hilfe benötigen. Außerdem setzt sie damit ein Zeichen gegen Vorurteile.

Aurich. Mit Vorurteilen und Ablehnung hat die Moordorferin Anja Thedinga seit Jahren zu kämpfen. Sie ist seit fast 20 Jahren arbeitslos und bezieht Hartz IV. Doch sie will sich von der Gesellschaft nicht stigmatisieren lassen. Sie hat ihre Berufung gefunden, auch wenn sie dafür nicht bezahlt wird: Seit fünf Jahren arbeitet sie bei der Tafel in Aurich, seit drei Jahren ehrenamtlich. Um etwas zu tun zu haben, Menschen zu helfen und „aus Prinzip“.

Hartz-IV-Empfänger sind faul und liegen der Gesellschaft nur auf der Tasche, lauten nur zwei der Vorurteile, die Anja Thedinga immer wieder begegnen. Sie schmerzt es, wenn sie so etwas hört. Nachdem sie ihre Lehre als Lebensmittelverkäuferin abschloss, arbeitete sie noch drei Monate. Dann wurde ihre Arbeitsstelle in einen 450-Euro-Job umgewandelt. Zu wenig, um davon leben zu können. Die Moordorferin rutschte daraufhin von einer Maßnahme des Jobcenters in die nächste. Wirklich dauerhaft Arbeit fand sie nicht.

„Es bleibt nichts über“

Eine Zeit lang versuchte Anja Thedinga es mit Minijobs. Auch in einem Kindergarten half sie aus. Doch letztlich war sie nur frustriert von der Hartz-IV-Regelung: Nur 100 Euro sind anrechnungsfrei. Alles, was darüber hinausgeht, wird anteilig vom Arbeitslosengeld II abgezogen. „Man wird noch dafür bestraft, dass man arbeiten will“, sagt Anja Thedinga.

Der Regelsatz für Hartz IV wird im kommenden Jahr um 14 Euro auf 446 Euro für alleinstehende Erwachsene angehoben. Davon sollen Lebensmittel, Kleidung, Hygieneprodukte, Hausrat, Haushaltsenergie und persönliche Bedürfnisse bezahlt werden. So steht es auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit. Ein Teil des Geldes solle zudem für größere Anschaffungen zur Seite gelegt werden, falls zum Beispiel der Kühlschrank kaputt geht. Diese Vorstellung geht weit an der Realität vieler vorbei, die von Hartz IV abhängig sind, sagt Anja Thedinga. „Es bleibt nichts über.“

Einsamkeit und soziale Isolation sind für Arbeitslose ein Problem

Aufs Arbeiten verzichten wollte die Moordorferin nie. „Man will ja auch etwas Sinnvolles tun“, sagt sie. Vor fünf Jahren landete sie bei der Tafel in Aurich. Damals verdiente sie mit ihrer Arbeit noch ein wenig Geld. Inzwischen arbeitet sie dort ehrenamtlich – und aus Leidenschaft.

„Viele Menschen wollen sich nicht in die Lage von Arbeitslosen versetzen“, sagt Anja Thedinga. Zu wenige verstehen, was es für den Einzelnen bedeute. Eng mit der Arbeitslosigkeit verbunden seien auch Einsamkeit und soziale Isolation. „Es ist schwer, wieder in den Tag zu kommen.“ Bei der Auricher Tafel trifft Anja Thedinga Menschen und pflegt soziale Kontakte. „Man versinkt sonst zu Hause.“

Der Tag beginnt um halb acht

Inzwischen ist Anja Thedinga zum Mädchen-für-alles und zur guten Seele der Auricher Tafel geworden. Fast jeden Tag steht sie morgens halb acht bereit, um die Fahrer der Lebensmittelspenden zu empfangen. Die Moordorferin kocht ihnen als erstes einen Kaffee, bevor sie zu den Supermärkten losziehen. Danach räumt die Moordorferin auf und sortiert die Lebensmittel. Sie erledigt Büroarbeiten, kümmert sich um die Dienstpläne und das Personalleben.

Bei der Warenausgabe unterhält Anja Thedinga sich mit den Empfängern und hört sich ihre Geschichten an, zum Beispiel von einer Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde und sich nun alleine um das gemeinsame Kind kümmern muss. Zur Auricher Tafel kommen Alleinerziehende, Rentner, Witwen und vor allem in letzter Zeit auch jüngere Menschen, die wegen der Corona-Pandemie ihre Arbeit verloren hatten. „Ich bin froh, wenn ich da unterstützen kann.“ Manche Menschen haben schwere Schicksalsschläge erlitten und alles im Leben verloren. Wenn Anja Thedinga ihre eigene Geschichte erzählt, sagt sie nicht Ich. In den Warenempfängern bei der Auricher Tafel erkennt sie sich wieder. „Man kennt das ja selbst.“

„Sie kommen unschuldig in die Situation“

So sehr die Moordorferin ihre Arbeit bei der Tafel liebt, umso schwerer ist sie manchmal. Zur Weihnachtszeit stellen die Tafeln Weihnachtsbäume auf, an denen Wunschzettel von Kindern aus Tafel-Familien gehängt werden. Fremde können dann die Wünsche auf den Zetteln erfüllen. In diesem sind um die 120 bei der Auricher Tafel eingegangen, sagt Anja Thedinga. „Es ist schade, dass so etwas auf Kindern abgetragen wird. Sie kommen unschuldig in die Situation“, sagt die Moordorferin. Umso besser sei die Aktion der Tafeln. „Die Kinder haben trotzdem Wünsche. So kann man sie erfüllen“, sagt Anja Thedinga.

In der dritten Folge der ON-Serie geht es am Sonnabend um eine Frau, die regelmäßig Lebensmittel von der Tafel abholt. Für die Großefehntjerin ist das die einzige Möglichkeit, um sich gesund zu ernähren.

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