Berlin (dpa)

Bundeswehr: AKK will zügige Rehabilitation Homosexueller

Carsten Hoffmann, dpa
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Von Carsten Hoffmann, dpa
| 17.09.2020 05:50 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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„Dann brach die Hölle los“, schildert ein Offizier die Tage, als 1981 seine Homosexualität bekannt wurde. Kramp-Karrenbauer will für eine Vielzahl von Fällen zügig staatliche Wiedergutmachung. Eine Studie der Bundeswehr bilanziert die Diskriminierung früherer Jahrzehnte.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will die Rehabilitierung homosexueller Soldaten nach Jahrzehnten systematischer Diskriminierung zügig voranbringen.

„Die Haltung der Bundeswehr zur Homosexualität war falsch. Sie war damals schon falsch und hinkte der Gesellschaft hinterher, und sie ist es aus heutiger Sicht umso mehr“, erklärte Kramp-Karrenbauer in Berlin zur Veröffentlichung einer Bundeswehr-Studie, die die staatliche Verfolgung beleuchtet. „Ich bedauere diese Praxis sehr. Bei all denen, die darunter zu leiden hatten, bitte ich um Entschuldigung“, so Kramp-Karrenbauer.

Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat unter dem Titel „Tabu und Toleranz“ den Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende erstmals „auf breiter Quellenbasis“ untersucht. Auch interne Papiere des Ministeriums und Entscheidungen von Truppendienstgerichten wurden ausgewertet. „Gleichgeschlechtliche Orientierung galt in der Bundeswehr bis zur Jahrtausendwende als Sicherheitsrisiko und machte eine Karriere als Offizier oder Unteroffizier unmöglich“, schreiben die Wissenschaftler.

„Dann brach die Hölle los“, erinnert sich laut Studie ein 1981 als Kompaniechef abgelöster Hauptmann, dessen Fall betrachtet wird. Beste Beurteilungen hatten glänzende Berufsaussichten erwarten lassen. „All das war urplötzlich nichts mehr wert, denn der Hauptmann war schwul“, heißt es. Eine Verkettung von Zufällen hatte dies dem Dienstherrn bekannt gemacht.

Sein Lebenspartner war zum Wehrdienst eingezogen worden und sollte im Offiziersheim der Kaserne eingesetzt werden - unter Führung des Hauptmanns. Die Beziehung der beiden Männer war bereits vor der Einberufung des Jüngeren beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) aktenkundig geworden. Der Hauptmann wurde des Dienstes enthoben, ihm wurde verboten, eine Uniform zu tragen oder eine Kaserne zu betreten. Ziel war die Entfernung aus dem Dienst, was der Mann vor dem Bundesverwaltungsgericht abwenden konnte.

Doch oftmals - auch das wird deutlich - haben die zivilen Gerichte auf Entlassung entschieden. „Wurden Soldaten wegen homosexueller Handlungen nach § 175 StGB verurteilt, folgten auf das Strafurteil regelmäßig eine Anschuldigung durch den Wehrdisziplinaranwalt und eine Verurteilung durch die Truppendienstgerichte. Dabei spielte keine Rolle, ob es sich um einvernehmlichen Sex handelte“, stellen die Forscher fest.

Eine Unterscheidung zwischen Missbrauch - der auch heute verfolgt wird - und einvernehmlichem Sex gab es in früheren Zeiten oftmals nicht, was es bis heute schwer macht, die Zahl der Opfer dieser Politik genau zu beziffern. „Die Zahlen für 1965 und 1966 zeigen eine erstaunliche Kontinuität von jährlich rund 45 verurteilten Soldaten“, stellen die Forscher aber fest.

Der Umgang mit Homosexualität in der Bundeswehr sei nicht ohne das Verständnis von Homosexualität in der westdeutschen Gesellschaft zu verstehen, schreiben die Autoren. Das Disziplinarrecht der Bundeswehr sei den allgemeinen Rechtsnormen gefolgt. Bis 1969 habe eine Verurteilung wegen § 175 StGB auch für Beamte in der Regel bedeutet, aus dem Dienst entfernt zu werden.

Nach der Entkriminalisierung der Homosexualität 1969 entschied der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts 1970 folgerichtig, dass diese Handlungen von Soldaten kein Dienstvergehen mehr darstellten - es sei denn, es gab einen dienstlichen Bezug. Die Auslegung eröffnete der Bundeswehr allerdings einen eigenen Handlungsspielraum. In den frühen 1970er Jahren galt der „dienstliche Bezug“ demnach bereits als gegeben, wenn zwei Soldaten sexuelle Beziehungen privat unterhielten, ohne dienstliche Kontakte.

Erst SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping vollzog im Jahr 2000 die Kehrtwende. Vorher - im Jahr 1998 - hatte ein von seinem Dienstposten abgelöster Zugführer Verfassungsbeschwerde eingelegt. Scharping setzte „gegen den erklärten Willen und hartnäckigen Widerstand der militärischen Führung der Streitkräfte“, so die Forscher, einen neuen Kurs durch. Der Kernsatz vom 3. Juli 2000 sei „unaufgeregt“ gewesen: „Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfendes Eignungskriterium dar.“

„Ich kann mir kaum vorstellen, was für eine kontinuierliche Anspannung, was für eine Angst, aber auch Demütigung das war“, so Kramp-Karrenbauer am Donnerstag. „Und was das für die Betroffenen bedeutet haben muss.“ Ein Gesetzentwurf zur Rehabilitierung sei weit fortgeschritten und werde in Kürze zur Ressortabstimmung verteilt. „Wir werden mit diesem Gesetz an den Rand des juristisch Machbaren gehen müssen“, so die Ministerin.

Die Wehrbeauftragte Eva Högl forderte: „Der Knackpunkt wird hier sein, wie die betroffenen Soldaten entschädigt werden können. Eine solche Entschädigung sind wir den betroffenen Soldaten schuldig.“

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) begrüßt die Initiative zur Aufarbeitung der Diskriminierung und bezeichnete eine Entschädigung als „längst überfällig“: „Der demokratische Rechtsstaat muss das jahrzehntelange Unrecht endlich korrigieren und den Opfern Gerechtigkeit verschaffen.“

© dpa-infocom, dpa:200917-99-593844/5

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