Großefehn

ON-Weihnachtsaktion: Essen, das man sich sonst nicht leisten könnte

Franziska Otto
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Von Franziska Otto
| 05.12.2020 08:11 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Wie teuer manche Lebensmittel sind, merkt man erst, wenn man das Geld nicht hat. Ohne die Hilfe der Tafel könnten sich viele Menschen nur wenig Obst und Gemüse leisten. Eine Großefehntjer Tafel-Kundin kennt das aus eigener Erfahrung.

Obst und Gemüse kann Petra M. sich ohne die Tafel nicht leisten.
Obst und Gemüse kann Petra M. sich ohne die Tafel nicht leisten.
Großefehn. Obst und Gemüse könnte Petra M. sich ohne die Hilfe der Tafel in Großefehn nicht leisten. Viel zu teuer, sagt sie. Am Anfang schämte sie sich dafür. Inzwischen macht sie aus der Not eine Tugend – und gibt ihre Tipps und Tricks rund um Schnäppchen und Kochen an andere Kunden der Tafel weiter.

Petra ist es unangenehm, Lebensmittel von der Tafel zu holen. Deswegen will sie weder ihren Nachnamen noch ihr Gesicht in der Zeitung sehen. „Wenn ich vor der Tafel stehe, gaffen die Leute.“ Seit etwa zehn Jahren ist sie Kundin bei der Tafel. Petra kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten und bekommt deswegen Hartz IV. Erst versuchte sie, sich und ihren Sohn ohne die Hilfe der Tafel zu ernähren. Inzwischen würde sie darauf nicht mehr verzichten wollen. „Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen.“

Man kann immer noch etwas rausholen

Viele Menschen versetzen sich nicht in die Lage von Hartz-IV-Empfängern, sagt Petra. Sie achtet auf jeden Cent. Die Resteverwertung hat sie perfektioniert: Aus dem Wasser von Gewürzgurken macht sie Dressing, aus Gemüseresten wird Brühe.

Bei der Tafel merkte sie, wie wenig sich manche Menschen mit Lebensmitteln auskennen. Petra arbeitete früher in einem Hamburger Großmarkt für Lebensmittel. Bei exotischen Früchten kennt sie nicht nur den Namen, sondern weiß auch, wie man sie am besten zubereitet. Immer wieder habe sie bei der Tafel Kinder gesehen, die ihre Mütter nach einem bestimmten Lebensmittel fragten. Die Mütter hatten damit jedoch nichts anzufangen gewusst. Petra gab ihnen dann Tipps.

Die Küche ist ihr Königreich

Neben Paprika und Tomaten gibt es bei den Tafeln auch Bulgur und Couscous.
Neben Paprika und Tomaten gibt es bei den Tafeln auch Bulgur und Couscous.
Die Großefehntjerin ließen diese Erlebnisse nicht los. Sie wollte den Menschen helfen. So schrieb sie die Tafel an und wies genau darauf hin. Als Antwort kam der Vorschlag, dass sie ja selbst Rezepte mit Tipps und Tricks schreiben könne. Die leidenschaftliche Köchin war sofort Feuer und Flamme. Ihre Rezepte wurden vor allem in der Tafel in Aurich verteilt, teilweise auch in Großefehn.

Für Petra ist die Küche ihr eigenes, kleines Reich. Die meiste Zeit des Tages verbringt sie hier und probiert neue Rezepte. Die 57-Jährige achtet dabei stets auf Sauberkeit: Die Oberflächen und der Kühlschrank sind blitzblank, kein Staubkorn liegt in den Regalen. Über die Jahre hat Petra eine Zahl an Küchenmaschinen angesammelt. Vor allem kleine Boxen, mit denen sich mit einem Handgriff Gemüse klein häckseln lässt, haben es ihr angetan. Die meisten hat sie von Freunden und Bekannten geschenkt bekommen. Petra hat Rheuma, ihre Hände sind deswegen oft geschwollen. Die Küchenutensilien erleichtern ihr das Arbeiten deshalb immens.

Nur wenig Geld für die Mahlzeiten

Nicht nur Maschinen sammelt Petra: In mehreren Regalen reihen sich Gewürze aneinander. Die Großefehntjerin bekommt sie häufig zum Geburtstag geschenkt. „Was soll ich mit Blumen, die nach ein paar Tagen im Müll landen?“ Dann doch lieber Gewürze.

Die Halbgriechin kocht gerne exotisch und probiert neue Sachen aus. In ihrer Wohnung reihen sich Regale mit Kochbüchern aneinander. Griechisch, Türkisch, Chinesisch, es gibt keine Grenzen. Bis auf eine: das Budget. An Weihnachten soll es bei der kleinen Familie Rouladen, Kartoffelknödel und selbst eingelegten Rotkohl geben. Alles zusammen kostet das Gericht sie rund 2,50 Euro pro Person. Das ist das absolute Maximum. „So etwas gibt es nur an Weihnachten oder anderen Feiertagen“, sagt Petra. Es sei schwierig, den Preis für jede Mahlzeit so weit zu drücken. „Aber man kann es schaffen. Man muss sich nur Gedanken und Arbeit machen.“

Die Tafel kann nicht alles abdecken

Ohne die Hilfe der Tafel könnte sich Petra viele Lebensmittel einfach nicht leisten. Zum Beispiel Paprika, die im Supermarkt ein Vielfaches vom Preis bei der Tafel kostet.

Auf vieles muss die 57-Jährige verzichten. Fleisch gibt es zum Beispiel nur selten. Das liegt an fehlenden Kühlmöglichkeiten der Tafel in Großefehn, erklärt Petra. Damit hat sie sich arrangiert. Für die Leibspeise ihres Sohnes, Spaghetti Bolognese, müssen dann 150 Gramm Hackfleisch reichen. Den Rest füllt sie mit Gemüse auf.

Bei Unverträglichkeiten wird es teuer

Petra M. ist Meisterin der Resteverwertung. Aus Gemüseresten kocht sie Brühe.
Petra M. ist Meisterin der Resteverwertung. Aus Gemüseresten kocht sie Brühe.
Petra wünscht sich eine größere Auswahl bei der Tafel. Sie selbst verträgt keine Milchprodukte. Laktosefreie Milch gibt es allerdings nur selten, sagt sie. Und einfach im Supermarkt kaufen geht nicht. „Haben Sie mal gesehen, was laktosefreie Milch im Vergleich zu Kuhmilch kostet?“ Zudem gebe es schließlich auch Menschen, die kein Gluten vertragen. Da ist es dasselbe Problem.

Zu viele Menschen verurteilen Tafel-Kunden, sagt Petra. Auch ihr sei schon gesagt worden, dass sie mit Hartz IV ja alles einfach vorgesetzt bekomme. Dabei kennen sie die Hintergründe nicht. „Jeder hat seine eigene Geschichte“, sagt Petra. Ihr Leben ist von persönlichen Schicksalsschlägen durchzogen, trotzdem erschüttert sie die Lage vieler Menschen bei der Tafel mehr. Vor allem wenn sie dort Senioren. „Diese Menschen haben unser Land nach dem Krieg wieder aufgebaut“, sagt Petra. „Da schäme ich mich für den deutschen Staat.“ Wegen der Corona-Krise müssen sich immer mehr Warenempfänger das Angebot teilen, sagt Petra. „Die Politik verspricht immer Hilfe, es kommt aber keine.“

„Alle haben die gleichen Probleme“

Bei all den Vorurteilen, die Tafel-Kunden erfahren, gibt es aber auch Solidarität und Zusammenhalt untereinander. Die Menschen helfen sich. Denn sie wissen, wie es ist, wenn eine Rechnung für eine Nachzahlung reinkommt und das Geld dafür nicht da ist. „Alle haben die gleichen Probleme.“

In der nächsten Folge der ON-Serie zur Weihnachtsaktion geht es am kommenden Mittwoch um die Gründungsgeschichte der Tafel im Landkreis Aurich.

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