Regierungskoalition Merz will fünf Milliarden beim Bürgergeld sparen


Der Kanzler hält Einschnitte bei den Sozialsystemen für nötig. Kurz vor einem Spitzentreffen mit der SPD legt Friedrich Merz nach - mit einer konkreten Milliarden-Vorgabe.
Vor einem Spitzentreffen von Union und SPD setzt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seine Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) mit einer Milliarden-Sparvorgabe beim Bürgergeld unter Druck. „Wenn wir uns nicht mehr trauen, in einem Transfersystem, das in die falsche Richtung läuft, zehn Prozent einzusparen, dann versagen wir vor dieser Aufgabe“, sagte Merz in einem Interview von Sat.1. Vor dem Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD rügte der Kanzler zugleich die Wortwahl der Ressort- und SPD-Chefin.
Bas hatte vor Parteinachwuchs die Debatte über nicht mehr finanzierbare Sozialsysteme „Bullshit“ genannt. „Ich habe mit ihr darüber gesprochen“, sagte Merz. „Ich habe ja auch gesagt, wir sollten das auf diesem Niveau nicht fortsetzen, tun wir auch nicht.“ Diesen Sprachgebrauch wolle er „für die Koalition insgesamt“ nicht akzeptieren.
Am Abend war ein Treffen von Merz und Bas geplant. „Ich bin gleich mit der Bundesarbeitsministerin zum Abendessen verabredet“, sagte der Kanzler bei einer Veranstaltung der Deutschen Fußball Liga in Berlin. „Das gehört auch zu meinen Pflichten dazu. Ich sehe dem Abschluss dieses Abends mit Zuversicht entgegen.“
Merz: Fünf Milliarden müssen „möglich sein“
In dem Sat.1-Interview sagte Merz übers Bürgergeld: „Nach wie vor bin ich davon fest überzeugt, dass sich zehn Prozent in diesem System einsparen lassen müssen.“ Das Bürgergeld kostet derzeit rund 50 Milliarden Euro im Jahr. Auf Nachfrage bestätigte Merz, dass es um etwa fünf Milliarden Euro Ersparnis gehe. „Das ist ein Betrag, der muss möglich sein.“
Damit konkretisierte Merz bisherige Äußerungen, die bereits eine Art indirekten Schlagabtausch zwischen dem Kanzler und seiner Sozialministerin zur Folge hatten. Vor Jusos hatte die SPD-Chefin gesagt: „Diese Debatte gerade, dass wir uns diese Sozialversicherungssysteme und diesen Sozialstaat finanziell nicht mehr leisten können, ist – und da entschuldige ich mich jetzt schon für den Ausdruck – Bullshit.“ Merz hatte auf CDU-Landesparteitagen zuvor etwa angekündigt, dass es „im sogenannten Bürgergeld“ nicht bleiben könne wie es sei. „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“ Nötig seien „Einschnitte“.
Bas kritisiert „Zungenschlag“
Im Magazin „Stern“ beklagte Bas: „Jetzt kommt so ein Zungenschlag rein, dass die Wirtschaft nicht läuft, weil die Sozialsysteme zu teuer sind.“ Das sehe sie nicht so. „Da musste ich jetzt auch mal gegenhalten.“ So zeigen sich tiefe Differenzen, bevor Merz, Bas und die anderen Koalitionsspitzen am Mittwochnachmittag beim Kanzler zusammentreffen.
Union und SPD wollen Anlauf für Herbst nehmen
Union und SPD wollen bei ihrem ersten Treffen im Koalitionsausschuss nach der Sommerpause eigentlich vor allem gemeinsamen Anlauf für ihre nächsten Vorhaben nehmen. Bereits die Fraktionsspitzen von Union und SPD hatten bei einer Klausur im fränkischen Würzburg Gemeinsamkeit beschworen und einen Fahrplan für Gesetzespläne für den Herbst vorgelegt. Von günstigeren Energiepreisen über Bürokratieabbau bis zur Planungsbeschleunigung reichen die Versprechen. Merz bekräftigte per Interview auch, dass er auf Tempo bei der Aktivrente mit steuerfreien Hinzuverdienstmöglichkeiten bis zu 2.000 Euro setzt.
Richter gesucht
Offen ist zudem, wie es nach dem Debakel der Koalition rund um die Neubesetzung am Bundesverfassungsgericht weitergeht. Nach der kurzfristigen Absetzung der Wahl von der Tagesordnung im Bundestag waren Union und SPD im Streit in die Sommerpause gegangen. Noch hat die SPD keine neue Kandidatin bekanntgegeben. Die ursprüngliche Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf hatte wegen Widerstands in Reihen der CDU/CSU ihren Verzicht erklärt. Die Fraktionsspitze konnte die der SPD zugesagte Unterstützung nicht garantieren.
Bas‘ Bürgergeld-Pläne
Vor dem Hintergrund der Grundsatzdebatte über die Kosten für den Sozialstaat dürfte sich die Union besonders für die Bürgergeld-Pläne der Sozialministerin interessieren - auch wenn es aus Sicht von Bas dabei gar nicht im Wesentlichen um Einsparungen geht.
Wie es aus dem Ministerium hieß, wird dort „unter Hochdruck“ an einem Reformentwurf gearbeitet. Im Fokus - das geht aus früheren Äußerungen von Bas hervor - dürften etwa nachgeschärfte Mitwirkungspflichten stehen. Für die Sozialdemokratin ist das auch eine Gerechtigkeitsfrage gegenüber der arbeitenden Mitte.
Für längerfristige Reformen im Sozialgefüge soll dann eine Regierungskommission Vorschläge machen, die sich am Montag konstituiert hat. Bas sagte dem Magazin „Stern“: „Ich finde, wir haben jetzt eine große Chance, unsere Systeme auch für die nächsten Generationen sattelfest zu machen. Dafür müssen wir kreativ sein, Neues denken, zum Beispiel in der Frage, welche Berufsgruppen man an den Kosten beteiligen könnte.“
CDA-Vertreter für Erbschaftssteuer-Reform
Parallel dazu schwelt eine Debatte über mögliche Steuererhöhungen weiter. Finanzminister und SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil (SPD) hatte nicht ausgeschlossen, dass Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende erhöht werden könnten. Mit dem Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Dennis Radtke, sprach sich auch ein Unionspolitiker für bestimmte Erhöhungen aus. „Wir müssen schon aus Gerechtigkeitsgründen dringend die großen Schlupflöcher bei der Erbschaftsteuer schließen“, sagte Radtke der „Süddeutschen Zeitung“. Diese Debatte zielt vor allem auf eine absehbare Lücke von mehr als 30 Milliarden Euro im Etat 2027. Beschlüsse zum Stopfen dieser Haushaltslöcher sind noch nicht zu erwarten.