Schwarz-Rot Koalition startet in Phase zwei: Wie heiß wird der Herbst?

Michael Fischer und Ulrich Steinkohl, dpa
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Von Michael Fischer und Ulrich Steinkohl, dpa
| 26.08.2025 05:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Der Start war holprig. Die Koalitionäre hoffen darauf, dass sie nach der Sommerpause besser in die Spur kommen. (Archivbild) Foto: Kay Nietfeld/dpa
Der Start war holprig. Die Koalitionäre hoffen darauf, dass sie nach der Sommerpause besser in die Spur kommen. (Archivbild) Foto: Kay Nietfeld/dpa
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Der Start der schwarz-roten Koalition war holprig. Nach einer kurzen Verschnaufpause im Sommer soll nun alles besser werden. Aber die Liste der Baustellen ist lang.

Für einige Regierungsmitglieder war die Sommerpause sehr kurz, für andere gab es sie so gut wie gar nicht. An diesem Mittwoch geht es für das noch junge Bündnis von Union und SPD nun aber mit der ersten Kabinettssitzung in den Räumen des Verteidigungsministeriums seit mehr als drei Jahrzehnten wieder so richtig los.

Am Donnerstag und Freitag treffen sich dann gleich die Vorstände der beiden Bundestagsfraktionen in Würzburg, um das zweite Halbjahr vorzubereiten. Und für den Mittwoch kommender Woche ist eine Sitzung des Koalitionsausschusses geplant.

Nach der holprigen Aufwärmphase in den ersten 100 Tagen hat die Koalition Besserung gelobt. „Ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden. Das muss mehr werden“, forderte Kanzler Friedrich Merz (CDU) erst am Wochenende. Von Sozialreformen über die Vergrößerung der Bundeswehr bis zur Steuerpolitik gibt es zahlreiche Baustellen und hohe Erwartungen der Wirtschaft und der Menschen in Deutschland.

WEHRPFLICHT: Nur „in der Zielrichtung“ einig

Schon der Start in die zweite Runde läuft aber nicht so ganz rund für Schwarz-Rot. Bei einer symbolträchtigen Kabinettssitzung im Verteidigungsministerium wollen Merz und seine Ministerriege das Wehrdienstgesetz auf den Weg bringen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will bei der angestrebten Vergrößerung der Bundeswehr um 80.000 auf 260.000 Soldaten zunächst auf Freiwilligkeit setzen. Die Union wünscht sich eine automatische Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht, wenn bestimmte Zielmarken bei der Truppenstärke nicht erreicht werden.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte Ende vergangener Woche deshalb ein Veto gegen das Wehrdienstgesetz eingelegt, das er am Montag aber wieder zurückzog. Pistorius wird seine Vorlage nun unverändert einbringen. Die Differenzen sind damit nicht vom Tisch, auch wenn Kanzler Merz betont, dass man sich „in der Zielrichtung“ einig sei. CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn machte am Montag deutlich, dass er im parlamentarischen Verfahren noch Gesprächsbedarf sehe.

RICHTERWAHL: Lösung in Sicht

Mit diesem Streitthema sind Union und SPD im Juli in die parlamentarische Sommerpause gestolpert. Teile der Unionsfraktion stellten sich gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und ließen die Wahl von gleich drei Verfassungsrichtern platzen. Die Staatsrechtlerin Brosius-Gersdorf hat inzwischen auf ihre Nominierung für einen Posten in Karlsruhe verzichtet. Die SPD soll eine Ersatzkandidatin gefunden haben. Die Union muss allerdings noch zustimmen.

FINANZEN: Streit über höhere Steuern für Reiche

Ein neues Konfliktthema kam aber in der Sommerpause hinzu. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil schließt höhere Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende nicht aus, um eine Lücke von bislang mehr als 30 Milliarden Euro im Etat 2027 zu schließen. „Da wird keine Option vom Tisch genommen“, sagte der SPD-Politiker etwa im ZDF-„Sommerinterview“. 

Vor allem der Koalitionspartner CSU reagiert darauf reflexhaft ablehnend. So konterte CSU-Chef Markus Söder im ARD-„Sommerinterview“: Mit der CSU werde es „definitiv keine Steuererhöhungen“ geben. Das sei „erstens immer ein Rohrkrepierer, zweitens der falsche Weg, und würde doch jetzt, nachdem wir gerade Steuern gesenkt haben, alles wieder kaputt machen.“

Kanzler Merz klang jedoch weniger kategorisch, als er am Wochenende beim Parteitag der Niedersachsen-CDU lediglich erklärte: „Mit dieser Bundesregierung unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommenssteuer für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht geben.“ Und der CDU-Haushaltspolitiker Andreas Mattfeldt zeigte sich am Dienstag in der „Bild“ sogar offen für Klingbeils Position: „Ich halte es persönlich für vertretbar, die sogenannte Reichensteuer zu erhöhen – aber nur, wenn im Gegenzug notwendige Sozialreformen umgesetzt werden.“

SOZIALSTAAT: Union pocht auf Reformen beim Bürgergeld

Das dickste Brett des zweiten Halbjahres dürfte die Frage sein, ob und wie die Koalition eine große Reform des Bürgergelds und anderer Sozialleistungen hinbekommt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zieht bereits eine Parallele zur „Agenda 2010“, mit der die rot-grüne Regierung des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder Anfang der 2000er Jahre die Wirtschaft wieder in Schwung brachte. Sie bedeutete aber auch weitreichende soziale Einschnitte und wurde zur dauerhaften Belastung für die SPD.

Der „Herbst der Reformen“ werde darüber entscheiden, ob Politik überhaupt noch reformfähig sei, meint Linnemann. Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) hat inzwischen eine Kommission eingesetzt, die für Sozialleistungen wie Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag Reformvorschläge machen soll. Bis Ende des Jahres soll klar sein, wohin die Koalition bei diesem Thema steuert.

Dass Reformen notwendig sind, sagt auch Klingbeil. Es gehe aber nicht, nur beim Bürgergeld zu streichen. Vielmehr müsse es am Ende ein Gesamtpaket sein, das alle in der Gesellschaft herausfordern werde. „Es kann nicht sein, dass man bei denen, die wenig haben, sagt, ihr gebt jetzt noch ein bisschen was ab, und bei denen, die viel haben, sagt, ihr müsst nichts machen.“

STIMMUNG IN DER KOALITION: Es gibt Luft nach oben

Vor allem die vor Beginn der Sommerpause verpatzte Richterwahl ließ manche Beobachter schon Parallelen zur schlechten Stimmung in der vorherigen Ampel-Regierung ziehen.

Klingbeil geht davon aus, dass es in Sachfragen auch künftig „ruckeln“ wird. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat aber einen Vorschlag parat, wie das Miteinander besser werden könnte: „Ich würde anregen, dass nicht alle Spitzenpolitiker ständig die Social-Media-Beiträge der anderen lesen“, sagte er dem Magazin „Stern“. „Harmonie statt Hyperventilieren könnte doch ein Motto für den Herbst sein.“

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