Theater in Marienhafe Einblicke in den Nebel des Vergessens

| | 19.02.2024 16:11 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Auch ein Lächeln dringt manchmal in die dunkle Welt des Vergessens ein: Gesa Dirks und Peter Spetzke spielen die Hauptrollen in dem Stück „Tage wie Nächte“. Foto: Gerd-D. Gauger
Auch ein Lächeln dringt manchmal in die dunkle Welt des Vergessens ein: Gesa Dirks und Peter Spetzke spielen die Hauptrollen in dem Stück „Tage wie Nächte“. Foto: Gerd-D. Gauger
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Die Marienhafer Theaterwerkstatt bietet mit ihrer Inszenierung des Stücks „Tage wie Nächte“ große Schauspielkunst. Zugleich gelingt ihr eine faszinierende Annäherung an eine bedrückende Krankheit.

Marienhafe - Innerhalb weniger Wochen haben zwei hiesige Theaterbühnen ein Thema aufgegriffen, das uns alle auf die eine oder andere Weise betrifft oder betreffen kann – die Beschäftigung mit der Alzheimer-Krankheit in der eigenen Familie.

Das Niederdeutsche Theater Aurich meldete wie die Marienhafer Theaterwerkstatt Rosenstraat 13 nicht nur für alle Vorstellungen „ausverkauft“, sondern hängte sogar noch Zusatzveranstaltungen dran. In Marienhafe sind diese am 1., 2. und 3. März. Karten sind noch erhältlich. Das zeigt, dass das Publikum nicht nur Hallodris in deftigen Possen sehen möchte, sondern dass es auch bewegende, an Gefühlen zerrende Stücke durchaus goutiert.

„Tage wie Nächte“ heißt der von dem renommierten Autoren Josef Rödl geschriebene und in Marienhafe von Anika Camp inszenierte Einblick in den Nebel der Demenz und in das, was dieser Nebel mit denen macht, die versuchen, ihn zu durchdringen. Das bedeutet fast 90 Minuten Emotions-Detonationen auf der Bühne. Und davor.

Gefangen im Käfig vager Erinnerungen

Mutter und Sohn gefangen im Käfig des Vergessens und vager Erinnerungen. Er bemüht, angesichts des Tohuwabohus ihrer Gedanken Nachsicht zu üben. Personen, Ereignisse – gute wie böse – tummeln sich in ihrer Welt, die seine nicht ist. Machtlos muss er zusehen, was diese Krankheit aus seiner Mutter macht. Er liebt diese Frau, die eine gute Mutter und Ehefrau gewesen ist, und dennoch stößt diese Liebe wegen des Unvermögens, ihre charakterlichen Veränderungen zu akzeptieren, manchmal an ihre Grenzen. So bleibt die Frage, ob sie, die von der Jetztzeit ausgeschlossen ist, nicht doch die Glücklichere ist von beiden. Die üble Rolle ihres Mannes in der NS-Zeit, die oberflächlichen, ja, an Verachtung grenzenden Reaktionen ihrer Töchter auf ihre Krankheit, ihr Klausnerleben im Heim – Vergangenheit und Gegenwart tauchen ein in das für Familie, Verwandte, Freunde undurchdringliche Gemenge.

Gesa Dirks und Peter Spetzke – was für ein faszinierendes Duo. Es ist schwer, sich auch nur eine Sekunde lang der Eindringlichkeit ihrer Darstellung zu entziehen. Das ist Schauspielkunst auf höchstem Niveau. Wer sagt denn, dass Amateure wie sie einem solch diffizilen Thema nicht gewachsen sein könnten? Sie sind es, und das mit einem Überfluss an Gefühlsübermittlung, dem niemand entkommt.

Es ist ein großer Theatermoment in der Rosenstraat-Werkstatt, der durch die Gesamtchoreografie noch gewinnt: Zeitgenössische Filme aus den Lebensepochen der Mutter flimmern gelegentlich auf einer Leinwand, und zur Schlagerhistorie gehörende Ohrwürmer wie Rudi Schurickes „Caprifischer“ animieren – Dramatik hin, Dramatik her – in der Adenauer-Ära Aufgewachsene zum Mitsummen.

Kurzum: Ein übrigens hochdeutscher Theaterabend, der allen, die ihn erlebten, wohl lange im Gedächtnis bleiben wird. Daran hat auch ein großer Stab seinen Anteil. Die Stimmen von Souffleuse Lydia Schwitters, Regisseurin Anika Camp, Beate Dunne und des für die Technik zuständigen Benjamin Oldewurtel werden zu bestimmten Szenen eingespielt, ein karges, deswegen nicht weniger ausdrucksvolles Bühnenbild gestaltete Jann Aden.

Knaller aus den frühen 1960er Jahren

Dieser Mannschaft stehen im Juni neue Herausforderungen ins Haus. Durch ein Kontrastprogramm zu „Tage wie Nächte“. Für ein munteres Lustspiel auf seiner Freilichtbühne hat das Rosenstraat-Klottje wieder Schauspieler befreundeter Bühnen rekrutiert, allen voran Stefanie van Doorn von der Moordörper Spöldeel. Sie wird die Hauptrolle in einem Knaller der frühen 1960er Jahre spielen, der mit einem Namen unwiederbringlich verbunden ist: Lilo Pulver. Die Mimin mit dem herzerfrischenden Lachen war nicht nur die unvergessene „Piroschka“, sondern im Zweierpack auch „Kohlhiesels Töchter“. Die Reminiszenz an Lilo Pulver und das originelle Drehbuch wird von den Alpen nach Ostfriesland verlegt und unter dem Titel „Kohlmeyer sien Dochters“ mit Plattdeutsch überzuckert. Der Kartenvorverkauf ist angelaufen.

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