Gedenken Kein Platz für Antisemitismus

Helmut Vortanz
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Von Helmut Vortanz
| 10.11.2023 11:59 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Superintendent Tido Janssen (links) und Ulrich Kötting, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Ostfriesland, sprachen bei der Gedenkveranstaltung am Auricher Synagogenplatz. Foto: Helmut Vortanz
Superintendent Tido Janssen (links) und Ulrich Kötting, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Ostfriesland, sprachen bei der Gedenkveranstaltung am Auricher Synagogenplatz. Foto: Helmut Vortanz
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Rund 200 Menschen haben sich am Donnerstag am Auricher Synagogenplatz versammelt. Sie gedachten der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten. Ein Thema, das aktueller ist denn je.

Aurich - Zum 85. Mal jährte sich am Donnerstag die Reichspogromnacht von 1938, die als Beginn einer bis dahin undenkbaren Verfolgung und systematischen Ermordung europäischer Juden durch das nationalsozialistische Regime gilt. Die Gedenkstunde am Synagogenplatz in Aurich wurde zu viel mehr als einer Erinnerung und Mahnung an diese Schreckensnacht. Angesichts des Überfalls der terroristischen Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 7. Oktober dieses Jahres war sie gleichzeitig eine Mahnwache gegen jede Form von antisemitischem Verhalten in Ostfriesland und darüber hinaus.

Ulrich Kötting, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Ostfriesland (DIG), machte das in seiner Rede deutlich. „Wir hören zwar immer wieder Beteuerungen, dass sich die Geschichte der Gräueltaten nicht wiederholen dürfe, doch wir erleben derzeit fast täglich genau das Gegenteil“ Bis zum 7. Oktober sei in Deutschland alle zwei Tage eine antisemitisch motivierte Straftat begangen worden. Nach dem brutalen Überfall der terroristischen Hamas auf Israel sei diese Zahl auf 1800 Straftaten täglich angestiegen. Politik und Bürger dürften diese Entwicklung nicht einfach hinnehmen, sondern müssten glaubhaft machen, dass die ganze Nation und jeder Einzelne zu den Menschen in Israel ständen.

DIG-Vorsitzender mahnt schärfere Gesetze an

Vor 85 Jahren hätten nicht viele Menschen für die verfolgten Juden die Stimme erhoben, so Kötting. Die Mehrheit habe zu- und weggesehen, wie Tausende Synagogen und öffentliche Einrichtungen jüdischer Bürger in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört, Frauen vergewaltigt und Männer bis zum Tod gefoltert wurden. In Aurich wurde die Synagoge an der Kirchstraße in Brand gesetzt, und die jüdischen Bürger wurden unter Leitung des damaligen NSDAP-Kreisleiters aus ihren Wohnungen geholt, schikaniert und misshandelt.

Superintendent Tido Janssen hängte einen Davidstern beim Gedenkstein vor der ehemaligen jüdischen Schule auf. Foto: Helmut Vortanz
Superintendent Tido Janssen hängte einen Davidstern beim Gedenkstein vor der ehemaligen jüdischen Schule auf. Foto: Helmut Vortanz

In der Bundesrepublik Deutschland sei kein Platz für Antisemitismus und Rechtsextremismus, sagte der DIG-Vorsitzende. „Die Bundesregierung muss jedoch die gesetzliche Grundlage dafür schaffen, die die Polizei in die Lage versetzt, jegliche Demonstration mit antisemitischen oder rechtsradikalen Zeichen sofort aufzulösen“, so Kötting. Auch auf internationaler Ebene würden immer wieder falsche Zeichen gesetzt. So gebe es gegen Israel mehr Resolutionen als gegen alle terroristischen Regime zusammen. „Aber nichts rechtfertigt den Überfall der Hamas auf Israel. Die Resolution ist eine Verdrehung der Tatsachen. Der Angreifer ist nach wie vor die terroristische Hamas“, erinnerte Kötting.

Superintendent: Antisemitismus ist Gotteslästerung

Superintendent Tido Janssen sprach in seinem Gedenken von einer „gespenstischen Stille“, die am Synagogenplatz nach der Zerstörung des Hauses der Zusammenkunft herrsche. „Keine Juden mehr, die ihre Feste feiern. Niemand, der israelische Gebete spricht“, mahnte der Vorsitzende des Kirchenkreises Aurich. Lediglich Stolpersteine und Straßennamen erinnerten an das Geschehene.

„Wir wehren uns gegen das Vergessen, auch wenn mehr als 30 Prozent der Deutschen lieber einen Schlussstrich unter die Geschichte ziehen würden“, so Janssen. Antisemitismus sei Gotteslästerung und wie eine Pestbeule. Antisemitismus dürfe keinen Platz haben in unserer Gesellschaft, daran werde in der Gedenkstunde erinnert.

Projektchor erinnert an jüdischen Librettisten Fritz Löhner

Musikalisch wurde die Veranstaltung von dem Projektchor 9. November unter der Leitung von Heinrich Herlyn mitgestaltet. Im Anschluss an das Gedenken und der Anbringung des Davidsterns beim Gedenkstein vor der ehemaligen jüdischen Schule in der Kirchstraße folgten die meisten der Teilnehmer einem Konzert des Projektchores in der Lambertikirche. Unter dem Motto „Wir wollen trotzdem ‚Ja‘ zum Leben sagen“ erinnerte das Konzert an den Librettisten und Texter Fritz Löhner, der 1883 als Bedtich Löwy geboren und im Dezember 1942 im KZ Buchenwald totgeschlagen wurde.

Der Projektchor 9. November erinnerte in einem Konzert an den jüdischen Librettisten Fritz Löhner. Foto: Helmut Vortanz
Der Projektchor 9. November erinnerte in einem Konzert an den jüdischen Librettisten Fritz Löhner. Foto: Helmut Vortanz

Das Andenken an Fritz Löhner war ein würdiger und eindringlicher Abschluss der Gedenkfeier zum 9. November. Neben den musikalischen Darbietungen des Chores und des Leiters Heinrich Herlyn als Solist erinnerten Sprecherinnen und Sprecher an den Lebens- und Leidensweg des Wieners und erläuterten Inhalte und Entstehung der vorgetragenen Lieder. Einige der von Löhner getexteten Lieder, wie „Ausgerechnet Bananen“ oder „Dein ist mein ganzes Herz“ sind auch heute noch bekannt. Dem eher fröhlichen Beginn folgten nachdenklich machende Lieder, die Löhner während seiner Gefangenschaft geschrieben hatte. Den Abschluss bildete das Buchenwaldlied, das heute fast bei jeder Gedenkfeier vorgetragen wird und aus dem das Motto des Konzertes entnommen wurde.

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