Berlin/Leipzig (dpa)

ZdJ-Präsident: AfD-Aussagen „Katalysator für Antisemitismus“

| 07.11.2021 11:12 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
„Es ist wichtig, auf die Unterschiede zur AfD hinzuweisen und auf die Gefahr, die von ihr ausgeht“: Josef Schuster. Foto: Nicolas Armer/dpa
„Es ist wichtig, auf die Unterschiede zur AfD hinzuweisen und auf die Gefahr, die von ihr ausgeht“: Josef Schuster. Foto: Nicolas Armer/dpa
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Vor dem Gedenken an die NS-Pogrome am 9. November 1938 äußert Zentralratspräsident Josef Schuster seine Sorge über Judenhass heute. Die Causa Gil Ofarim kommentiert er inzwischen distanziert.

In Deutschland sinkt aus Sicht des Zentralrats der Juden die Hemmschwelle, Antisemitismus offen zu zeigen. „Ich glaube nicht, dass die Anzahl der Menschen mit antijüdischen Vorurteilen zugenommen hat“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur.

„Sondern man traut sich eher, Dinge zu sagen, die man früher nicht ausgesprochen hätte.“ Auch Äußerungen von AfD-Funktionären seien „ein Katalysator für Antisemitismus“ - die Ankunft muslimischer Migranten 2015 hingegen nicht.

Schuster äußerte sich vor dem 9. November, an dem der judenfeindlichen Pogrome der Nationalsozialisten 1938 gedacht wird. Dabei wandte sich der 67-Jährige gegen den Vorschlag für einen nationalen Gedenktag an diesem Datum, der die Erinnerung an die Pogromnacht, an die Ausrufung der Republik 1918 und an den Mauerfall 1989 verbinden würde. „Ich halte einen Gedenktag, der alle historischen Ereignisse am 9. November berücksichtigt, für schwierig, weil sie sehr ambivalent sind“, sagte der Zentralratspräsident.

Einen Monat nach Antisemitismusvorwürfen des Sängers Gil Ofarim gegen ein Leipziger Hotel äußerte sich Schuster zurückhaltend. Ofarim hatte erklärt, ein Hotelmitarbeiter habe ihn am Check-In aufgefordert, seine Kette mit einem Davidstern einzupacken. Schuster hatte kurz darauf eine Entschuldigung des Hotels verlangt. Später tauchten Zweifel an Ofarims Darstellung auf.

Schuster sagte: „Zunächst habe ich keine Zweifel gehabt an der Darstellung von Gil Ofarim.“ Er halte seine damaligen Stellungnahmen nicht für voreilig. Er stehe zum Grundsatz, immer auch die andere Seite zu hören, und wolle das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen abwarten. Doch fügte Schuster hinzu: „Wenn der Vorfall sich nicht in ähnlicher Form abgespielt hat, wie er von Gil Ofarim dargestellt wurde, dann muss ich sagen, hätte ich für sein Verhalten überhaupt kein Verständnis. In diesem Fall hätte Gil Ofarim dem Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst erwiesen.“

Trotz einer deutlichen Zunahme erfasster judenfeindlicher Vorfälle sieht Schuster auch eine positive Entwicklung jüdischen Lebens in Deutschland. Es sei den jüdischen Gemeinden gelungen, Zehntausende Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zu integrieren. „Auch in der deutschen Gesellschaft insgesamt sehe ich einen positiven Trend, und das hängt zusammen mit den Feiern zu 1700 Jahre jüdischem Leben in Deutschland“, fügte Schuster hinzu. „Die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens wird deutlich.“ Die Arbeit des Antisemitismusbeauftragten Felix Klein lobte er ebenfalls.

Gleichwohl warnte er, dass die „Querdenker“-Szene von rechtsradikalen Kräften infiltriert und missbraucht werde. Ob dies die Gesellschaft dauerhaft prägen werde, könne er nicht vorhersagen. „Aber es gibt eine Radikalisierung, die schwer wieder einzufangen ist. Damit werden wir lange zu tun haben.“

Mit Blick auf die Alternative für Deutschland sagte Schuster: „Wenn Funktionäre der AfD zum Teil krudes Gedankengut selbst im Deutschen Bundestag von sich geben, dann ist das nach meiner Auffassung auch ein Katalysator für Antisemitismus.“ Die eigene Darstellung der AfD als Anwältin jüdischen Lebens wies er zurück und riet zur klaren Abgrenzung. „Andere Parteien können Stimmen nicht zurückzugewinnen, wenn sie sich auf die AfD zubewegen oder sich bei deren Wählern anbiedern“, betonte er. „Es ist wichtig, auf die Unterschiede zur AfD hinzuweisen und auf die Gefahr, die von ihr ausgeht.“

Er selbst stehe zu seiner Äußerung von 2015, dass eine Begrenzung muslimischer Zuwanderung notwendig sei. „Ein Land wie Deutschland sollte sich nicht selbst überfordern“, sagte er. Es sei auch richtig gewesen, damals Sorge zu äußern vor Antisemitismus durch Menschen, die mit antijüdischen Stereotypen aufgewachsen seien. „Sechs Jahre später habe ich aber nicht das Gefühl, dass der Antisemitismus durch Zuwanderung wesentlich zugenommen hat“, fügte er hinzu.

Schuster ist Arzt in Würzburg und seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

© dpa-infocom, dpa:211107-99-900697/2

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