Aurich/Ostfriesland

Ärztevertreter weisen Corona-Kritik zurück

Aiko Recke
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Von Aiko Recke
| 28.05.2020 10:47 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Am Mittwoch kritisierten ostfriesische Ärzte die Corona-Beschränkungen und verglichen die Krankheit mit der Influenza-Grippe. Die Führungsspitzen von Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung in Aurich bezeichnen das „leichtfertig dahin geschriebene Pamphlet“ als „unverantwortlich“.

Aurich. Deutliche und detaillierte Kritik an dem Schreiben von neun Ärzten, die sich gegen die Corona-Beschränkungen wenden (die ON berichteten), üben jetzt die Führungsspitzen der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Aurich. Deutschland habe in der Coronakrise bisher viel Glück gehabt, es seien weniger Menschen gestorben als in anderen Weltregionen, heißt es in einer Antwort auf eine ON-Anfrage. Wichtige Gründe seien die Früherkennung der Krankheit durch flächendeckende Testmaßnahmen und das gelassenene, disziplinierte Verhalten der Bürger, die ärztliche Ratschläge befolgten und die Regeln einhielten. „Dieses Verhalten beruht auf Vertrauen, das über eine lange Zeit erworben wurde. Es jetzt durch leichtfertig dahin geschriebene Pamphlete zu erschüttern oder gar zu zerstören, wäre unverantwortlich“, schreiben Dieter Krott (KV-Geschäftsführer), Dr. Volker Niehaus (Vorsitzender KV-Bezirksausschuss), Dr. Lukas Bockelmann (Vorsitzender Ärzteverein Aurich) und Dr. Jörg Weißmann (Vorsitzender Ärztekammer Aurich).

In der Diskussion um die Coronakrise mischten sich oft belegte Behauptungen mit eindeutig falschen, schreiben die Ärztevertreter. So entstehe Unsicherheit. In ihrer Antwort auf die neun Ärzte gehen sie auf mehrer derer Behauptungen ein. Die Gleichsetzung mit der Grippe sei „grob falsch und geradezu fahrlässig“. Die Grippe selbst sei schon eine problematische Erkrankung, der viele Menschen zum Opfer fallen. Eine Coronainfektion sei aber eine „deutlich gefährlichere Erkrankung“. Im Gegensatz zur Grippe befalle sie nicht nur die Lunge, sondern den gesamten Organismus, führe etwa zu Nierenversagen, Blutgerinnungsproblemen und Zerstörungen im zentralen Nervensystem.

„Absurd fahrlässige Behauptung“

Eine „geradezu absurd fahrlässig falsche Behauptung“ sei, dass Menschen mit intaktem Immunsystem die Corona-Erkrankung gefahrlos durchlaufen. „Das zeigt, dass die Autoren die Erkrankung nicht kennen und nicht respektieren.“ Es seien leider zahlreiche, bis dato kerngesunde Menschen an Corona gestorben, darunter viele aus dem medizinischen Bereich. Es gehe weniger um das Immunsystem, sondern viel mehr um den Weg, den das Virus in den Körper nehme. Das entscheide über die Schwere der Erkrankung.

Das Immunsystem zu stärken sei „natürlich immer eine gute Maßnahme“. Es sei aber „zu schön“ und „völlig naiv“ zu glauben, „dass allein gesunde Ernährung und frische Luft alle Krankheiten von uns fern halten würden“. „Viele gesund lebende Erkrankte können davon ein Lied singen und jeder Arzt kennt dieses Lied. Eine Krankheit ist keine Strafe für Fehlverhalten, sondern in erster Linie einfach eine Krankheit“, schreiben die vier Ärztevertreter. Auch die Behauptung, die Immunität leide durch die Beschränkungen, sei falsch. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. „Die Arztpraxen müssen derzeit die üblichen Infektionskrankheiten weit seltener behandeln. Der Mundschutz verhindert nämlich auch Erkältungen und Magen-Darm Infektionen“, schreiben Krott, Niehaus, Bockelmann und Weißmann.

Keine Gefahr durch zuviel Hygiene

Die Gefahr von Hautkrankheiten durch zu viel Hygiene sehen sie ebenfalls nicht. OP-Personal wasche sich seit jeher etliche Male täglich die Hände, verantwortungsbewußte Ärzte in den Praxen ebenfalls. Und Mund-Nase-Schutzmasken seien, verbunden mit Abstand und Händewaschen, die am besten belegten Schutzmaßnahme vor dem Coronavirus. Zweifellos könne die Corona-Situation zu Verschlechterungen psychischer Erkrankungen führen, räumen die Ärztevertreter ein. Aber: „Dennoch sind Menschen, die in Heimen leben, nicht vereinsamt oder allein. Wie alle anderen haben sie die Folgen der Kontakteinschränkungen zu tragen, was für niemand leicht ist.“ Auch Sterbende könnten trotz der Beschränkungen sehr wohl Begleitung durch Angehörige bekommen.

Auch die Angst bei Patienten und Bürgern sehen die Kammervertreter nicht als das größte Problem. „Wenn die Angst zu vernünftigem Verhalten führt, ist das gut. Ohne Angst wäre die Menschheit bereits ausgestorben.“

Die Herabsetzung der motorischen Entwicklung der Kinder sei zwar „zweifellos eine Gefahr, wenn Schul- und Vereinssport fehlen“. Aber: „In der Kürze der bisherigen Beschränkungen ist so etwas nicht untersucht worden und daher eine unbelegte Vermutung. Sehr viele Eltern nutzen die eigene gewonnene Zeit für die Familie, um mit den Kindern etwas zu unternehmen, natürlich auch Sport zu treiben.“ Widersprüchliche Maßnahmen von Politik und Verwaltung gebe es zwar in der Tat. „Das mag verwirrend sein, ist aber per se nicht falsch, sondern ermöglicht ein regional angepaßtes Vorgehen“, schreiben die Ärztevertreter.

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