Meisterin im Friseurhandwerk Einst flüchtete sie aus der Türkei, jetzt wurde ein Traum wahr

| 18.04.2023 07:51 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Sie freut sich, dass sie nun den Meistertitel führen darf: Ruken E. aus Wittmund. Foto: HWK/Stöppel
Sie freut sich, dass sie nun den Meistertitel führen darf: Ruken E. aus Wittmund. Foto: HWK/Stöppel
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Ihr Vater wurde kurz nach ihrer Geburt umgebracht: Ruken E. und ihre Familie flüchteten deshalb nach Deutschland. In Aurich legte sie nun die Meisterprüfung ab.

Aurich/Wittmund - Für Ruken E. aus Wittmund ist ein Traum in Erfüllung gegangen, und stolz hält sie es in den Händen: ihr Meisterprüfungszeugnis im Friseurhandwerk. 15 Monate hat die Wittmunderin dafür nebenberuflich die Schulbank im Berufsbildungszentrum (BBZ) der Handwerkskammer (HWK) für Ostfriesland in Aurich gedrückt und ganz beiläufig auch noch das Familienleben mit drei Kindern gemanagt. Das teilte die HWK mit.

„Das ich hier heute mal stehen würde, mit dem Meistertitel in der Tasche, das hätte ich mir vor einigen Jahren nicht träumen lassen“, sagt Ruken E. lächelnd. Und das „ist den Angaben zufolge tatsächlich keine Selbstverständlichkeit“. Habe die 33-Jährige doch bereits ein bewegtes Leben hinter sich.

Mehr als ein Jahr dauerte Flucht durch sieben Länder

Geboren wird Ruken E. 1990 in der Türkei. Kurz nach ihrer Geburt wird ihr Vater getötet – weil er ein Jeside ist. „Für meine Großeltern war das ein Schock, von dem sie sich nie ganz erholt haben“, berichtet sie. Als Ruken E. etwa sieben Jahre alt ist, beschließen ihre Großeltern deshalb, gemeinsam mit ihren vier Kindern sowie Ruken und ihrer Schwester das Land zu verlassen. Mehr als ein Jahr dauert die gesamte Flucht, die sie teils zu Fuß, mit dem Schiff oder der Bahn durch sieben Länder führt. Monatelang bekommen sie nichts anderes als Brot, Joghurt und Oliven zu essen und müssen ständig in Angst leben, entdeckt zu werden. „Auch wenn ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern kann, so werde ich diese Erlebnisse nie vergessen“, sagt sie.

1998 erreicht die Familie schließlich Deutschland und wird in Rheinland-Pfalz sesshaft. Ruken E. besucht dort zunächst die Hauptschule, lernt die deutsche Sprache und wechselt anschließend auf die Berufsschule für Wirtschaft und Verwaltung. Nach der Schule ist sie sich wie viele Jugendliche unsicher, welcher Beruf der richtige für sie sein könnte. Bis in ihrem damaligen Wohnort ein neuer Salon eröffnet. „Ich hatte vorher nichts mit dem Friseurhandwerk zu tun. Aber als ich dort zufällig vorbeikam, wusste ich auf einmal: Das ist es!“, erzählt sie. Spontan fragt sie nach einem Ausbildungsplatz – und hat Glück. Aber das ist nur von kurzer Dauer. Mitten während ihres zweiten Ausbildungsjahres setzt sich ihr Chef von heute auf morgen ins Ausland ab und der Betrieb muss geschlossen werden. „Danach wusste ich nicht, wie es weitergehen soll.“

Die Selbstständigkeit ist ihr Traum

Die junge Frau beschließt, sich zunächst auf die Familienplanung zu konzentrieren und zieht kurz darauf nach Lemgo bei Bielefeld. Mit ihrem damaligen Freund und heutigem Ehemann Hozan bekommt sie drei gemeinsame Kinder und widmet sich vorläufig ganz deren Erziehung. Doch als ihre jüngste Tochter zwei Jahre alt wird, entscheidet sie, dass es an der Zeit ist, wieder an sich selbst zu denken. Im Haarsalon von Anna Leimann in Lemgo beginnt sie 2018 erneut die Ausbildung zur Friseurin. Dabei zeigt sie so viel Talent und Engagement, dass sie diese 2020 sogar vorzeitig abschließen kann. „Ohne das große Verständnis und die Unterstützung meiner Ausbilderin und Chefin und unserer Nanny Angelina wäre das gar nicht möglich gewesen. Dafür bin ich ihnen immer noch dankbar“, betont sie.

Danach ist sie noch eine Weile in ihrem Ausbildungsbetrieb tätig, bis es sie 2021 mit ihrem Mann und den drei Kindern nach Niedersachsen verschlägt. Kaum im Norden angekommen, meldet sie sich auch schon zum Meisterkurs bei der Handwerkskammer an. „Ich wollte das unbedingt machen, damit ich irgendwann meinen eigenen Salon führen kann“, sagt sie. Und so jongliert sie mitten in der Coronazeit mit Homeschooling, Teilzeitjob, Weiterbildung und Haushalt. „Das war für die ganze Familie eine harte Zeit“, macht die Friseurmeisterin deutlich. Umso glücklicher sei sie, dass diese kräftezehrenden Monate nun endlich vorbei seien.

Jetzt möchte sie erst einmal in ihrem derzeitigen Betrieb als Friseurmeisterin Erfahrung sammeln und in naher Zukunft mit der Planung ihres eigenen Salons beginnen. „Meine eigene Chefin sein und selbst junge Nachwuchskräfte ausbilden, das war schon immer mein Traum. Denn für mich ist Friseurin sein nicht nur ein Beruf, sondern eine Leidenschaft. Andere Menschen glücklich machen, macht auch mich glücklich. Und was will man mehr im Leben?“, erklärt sie.

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