Großefehn

Ein Original hängt den Hammer an den Nagel

Marion Bubolz
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Von Marion Bubolz
| 25.04.2022 08:03 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Kurt Becker mit seiner Frau Anna in seiner kleinen Schusterei in Großefehn. Foto: HWK
Kurt Becker mit seiner Frau Anna in seiner kleinen Schusterei in Großefehn. Foto: HWK
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Nach mehr als 65 Jahren im Schuhmacherhandwerk legt Kurt Becker aus Strackholt seinen Beruf nieder. Laut Handwerkskammer ist die Region dadurch um ein Original ärmer geworden.

Großefehn - Sich von seinem Handwerk lösen, das kann der 87-jährige Großefehntjer nur schwer. Denn es war immer seine Leidenschaft, die seinen Tagesablauf bis vor Kurzem bestimmte. Kurt Becker ist einer der wenigen Ostfriesen, die das Schuhmacherhandwerk noch meisterlich beherrschen. Im Bezirk der Handwerkskammer für Ostfriesland sind nur noch vier Betriebe gelistet. Mit der Aufgabe der Schusterei Becker ist laut einer Mitteilung der Handwerkskammer die Region um ein Original ärmer geworden.

„Ich habe so lange gearbeitet, wie ich konnte, aber jetzt machen die Augen nicht mehr so richtig mit“, sagt er wehmütig. In seiner Domäne, eine etwa zwölf Quadratmeter große Garage, führt er stolz eine Reparatur an einem Stiefel auf einem Schuhmachereisen vor, bei der jeder Handgriff sitzt. „Dafür braucht man nicht viel Platz“, sagt der Meister. Eine Werkbank nimmt den größten Teil des Raumes ein. Rückseitig steht eine Ausputzmaschine. Eine weitere Steppmaschine und eine Schuhpresse komplettieren die Gerätschaften. In den Regalen sind allerhand Werkzeuge, Leisten und Schuhe vom roten Stiletto über schwarze Boots bis hin zu braunen Hausschuhen aufgereiht.

65 Jahre Ehe und 65 Jahre Meister

Das Handwerk hat ihn und seine Frau mehr als 65 Jahre lang begleitet. Und so feiern die beiden in diesem Jahr neben der eisernen Hochzeit nach 65-jähriger Ehe auch das 65. Meisterbestehen. Angefangen hatte alles in der Nachkriegszeit. Damals begann Kurt Becker im Alter von 15 Jahren auf Wunsch seiner Mutter am 1. April 1950 eine Lehre beim Schuhmacher und Fotografen Arnold Heyen in Strackholt. Seine Familie stammt aus Ostpreußen, wo sein im Krieg gefallener Onkel als Schuhmacher tätig war. Kurt Becker sollte in seine Fußstapfen treten. Mit 18 Jahren hatte er seinen Gesellenbrief in der Tasche und wollte Geld verdienen. Schon damals hatte er ein Auge auf seine vier Jahre jüngere Frau geworfen. „Aber wir mussten warten, bis wir alt genug zum Heiraten waren. Außerdem war der Verdienst als Schuhmacher sehr gering“, erzählt er. „Und wir hatten zu der Zeit nicht sehr viel“, ergänzt seine Frau. Bis auf ein Motorrad, eine NSU Lux, mit dem er Eindruck machte. Seine Mutter hatte ihm das Zweirad versprochen, wenn er seine Lehrzeit bestand.

Damit verschlug es ihn nach Bochum, wo Erich, einer seiner zwei Brüder, als Stuckateur auf dem Bau arbeitete. Als Handlanger schlug sich Kurt Becker durch, bis ein schwerer Wintereinbruch die Baustellen stilllegte und er stempeln gehen musste. Sein früherer Chef bot ihm seine alte Stelle an. Als neuer Bürgermeister von Strackholt brauchte er Unterstützung. So zog Kurt Becker um 1954 wieder zurück nach Ostfriesland, pachtete drei Jahre später die Werkstatt, heiratete seine Frau, bekam einen Sohn und legte nach einem Selbststudium im November 1957 die Meisterprüfung in der Handwerkskammer Aurich ab. Ein Jahr später bezog die junge Familie das neue Wohnhaus mit Werkstatt und Geschäftsräumen. Damals war er 23 und seine Frau 19 Jahre alt.

Oftmals wurde bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet

Das Familienunternehmen florierte und war bekannt. Auch durch sein Engagement im Fußballverein des SUS Strackholt. Dort trainierte er lange Jahre erfolgreich die A-Jugend. Eine weitere Filiale in Großefehn wurde 1977 eröffnet. Unterstützung erhielt Ehefrau Anna im Verkauf von Gerda van Lengen, die zur Schuhfachverkäuferin ausgebildet wurde und dem Ehepaar bis zuletzt die Treue hielt.

Angeboten wurden Markenschuhe aller Art, Sportschuhe und -bekleidung sowie Taschen. Auch die Schuhwerkstatt war gut ausgelastet. Ob es nun die Reparatur von Schuhen, Planen, Koffern, Gürteln, Handschuhen oder Pferdegeschirre war: „Wir haben alles gemacht“, sagt Kurt Becker. Allerdings war die handgefertigte Herstellung von Schuhen – außer bei der Gesellen- oder Meisterprüfung – nie gefordert. Aufgrund des Zeitaufwandes sei es einfach zu kostspielig, so Kurt Becker. Hilfe in der Schusterei erhielt er von Diedrich Dirks, einem befreundeten Orthopädieschuhmacher aus Leer, der ihm an den Freitagabenden unter die Arme griff. „Es wurde so lang gearbeitet, gescherzt und gelacht, bis der letzte Schuh repariert war. Oftmals bis in die frühen Morgenstunden“, erzählt der Meister.

Einen Auszubildenden oder Nachfolger hat er nie angelernt. Seine vier Kinder hatten kein Interesse und mit der industriellen Produktion von billigen Schuhen war der Berufszweig nicht mehr sehr gefragt. „Nur noch wenige kaufen sich hochwertige Schuhe, für die sich eine Reparatur lohnt“, erzählt Kurt Becker. Die Mehrheit der heutigen Schuhe sei geklebte Massenware und könne nur in Teilen repariert werden. Der Ausbildungsberuf des heutigen Maßschuhmachers hat deutschlandweit einen Exotenstatus. Geläufiger ist das Handwerk des Orthopädieschuhmachers.

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