Luxemburg (dpa)

Schlappe für Deutschland vor dem EuGH bei der Lkw-Maut

| 28.10.2020 11:34 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Wofür ist die Lkw-Maut da? Für Instandhaltung und Ausbau von Straßen und Brücken - aber nicht für die Kosten der Verkehrspolizei. Das hat der EuGH jetzt für Deutschland klargestellt. Für den Bund könnte das erhebliche finanzielle Folgen haben.

Schlappe für Deutschland bei der Erhebung der Lkw-Maut: Die Kosten für die Verkehrspolizei dürfen in die Berechnung der Höhe dieser Gebühr nicht einfließen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Mittwoch entschieden und damit einer polnischen Spedition recht gegeben.

Diese hatte in Deutschland Klage auf Rückzahlung der Mautgebühren erhoben. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hatte den EuGH um Klärung gebeten (Rechtssache C-321/19). Der Fall geht jetzt zurück nach Münster, die genauen Folgen sind noch unklar.

Dem Bund könnten aber nun zum einen Mindereinnahmen drohen. Zum anderen stellt sich die Frage, ab wann genau und wieviele Gelder zurückerstattet werden müssen. Eine Folge des Urteils könnte sein, dass ein sogenanntes Wegekostengutachten neu gefasst wird. Dieses ist die Grundlage für die Mautsätze.

Im Verkehrsministerium wurde darauf hingewiesen, die Gutachten seien bisher von der EU-Kommission nicht beanstandet worden. Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange (CSU) sprach von einem überraschenden Urteil. Seit 2004 seien die Lkw-Mautgesetze von allen Bundesregierungen und den jeweiligen Koalitionen ohne kostenrechtliche Bedenken beschlossen worden. Selbst die EU-Kommission habe die Einbeziehung der Kosten der Verkehrspolizei nie beanstandet.

„Wir müssen abwarten und analysieren, welche Auswirkungen das Urteil auf die Mauteinnahmen und Rückforderungen haben wird“, so Lange. Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kirsten Lühmann, sagte, in einem neuen Wegekostengutachten sollten neue Faktoren wie etwa Umweltschäden berücksichtigt werden, um Mindereinnahmen zu verhindern. Die Einnahmen aus der Lkw-Maut betragen bisher rund 7 Milliarden Euro im Jahr.

Laut EuGH hatte die polnische Spedition für die Nutzung der deutschen Bundesautobahnen für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 18. Juli 2011 Mautgebühren in Höhe von insgesamt 12 420,53 Euro bezahlt. Deren Gesellschafter machten als Kläger geltend, die Methode, nach der die Mautgebühren berechnet worden seien, sei unionsrechtswidrig. Sie habe zu einer überhöhten finanziellen Verpflichtung geführt.

Der EuGH urteilte nun, dass bei der Festsetzung der Mautgebühren ausschließlich die Infrastrukturkosten zu berücksichtigen seien, also die Ausgaben für Bau sowie Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes. „Polizeiliche Tätigkeiten fallen aber in die Verantwortung des Staates, der dabei hoheitliche Befugnisse ausübt und nicht lediglich als Betreiber der Straßeninfrastruktur handelt“, urteilten die höchsten europäischen Richter. Die Kosten der Verkehrspolizei könnten daher nicht als Kosten für den Betrieb im Sinne der Richtlinie über die Erhebung von Gebühren angesehen werden.

Dem EuGH zufolge wurden die Infrastrukturkosten wegen der Einberechnung der Verkehrspolizei zwar nur um 3,8 Prozent überschritten. Die Richtlinie stehe aber jeglicher Überschreitung der Infrastrukturkosten durch nicht ansatzfähige Kosten entgegen, fanden die Richter. Sie wiesen auch die Antrag Deutschlands zurück, die Wirkung des Urteils zeitlich zu beschränken.

Der EuGH blieb mit seinem Urteil auf der Linie des Generalanwalts. Der EuGH-Gutachter hatte in seiner Stellungnahme im Juni befunden, dass es gegen EU-Recht verstoße, wenn auch die Kosten für die Verkehrspolizei bei der Maut angesetzt würden.

Die Lkw-Maut wurde in Deutschland 2005 auf den Bundesautobahnen eingeführt und inzwischen auf alle Bundesstraßen ausgeweitet. In Zeiten der Corona-Pandemie werden wegen einer geringeren Fahrleistung in diesem Jahr sinkende Einnahmen erwartet. Pläne für eine deutsche Pkw-Maut wurden 2019 vom EuGH gekippt.

Der Linke-Verkehrspolitiker Jörg Cezanne sagte, auch die nächste Mautschlappe vor dem Europäischen Gerichtshof werde teuer, mindestens 1,5 Milliarden Euro seien seit 2010 zu Unrecht eingezogen worden. „Da die Anlastung von Kosten für die Polizei politisch vorgegeben wurde, geht auch diese Mautrechnung voll auf die Kappe der CSU.“ Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sagte, es drohten nun europaweite Schadensersatzforderungen und Einnahmeausfälle.

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung begrüßte, dass grundsätzliche Fragen zum Mautberechnungsverfahren vom EuGH geklärt worden seien. Mit der Entscheidung sei Rechtssicherheit für Unternehmen hergestellt worden.

© dpa-infocom, dpa:201028-99-112480/3

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