Spielberg (dpa)

Wanderzirkus im Sperrbezirk: Formel 1 besteht Stresstest

Christian Hollmann, dpa
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Von Christian Hollmann, dpa
| 05.07.2020 12:53 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Als erster internationaler Sport ist die Formel 1 aus der Corona-Zwangspause zurückgekehrt. Das strikte Hygienekonzept hat in Österreich den ersten Stresstest bestanden. Die Ungewissheit aber fährt weiter mit.

Auf ein kleines Stück Normalität will die Formel 1 in ihrem Sperrbezirk zum Start in die Notsaison dann doch nicht verzichten.

Und so schmettert eine steirische Trachtengruppe den Erzherzog-Johann-Jodler über die verwaisten Tribünen von Spielberg, Kunstflieger ziehen Rauchkringel über das gespenstisch leere Fahrerlager. Die Show muss ja irgendwie weitergehen. Als erster internationaler Sport hat die Formel 1 die Rückkehr geschafft, wenn auch nur im Notbetrieb mit strikten Hygieneregeln. „Das ist eine außerordentliche Leistung“, sagt Weltverbandspräsident Jean Todt, der selbst zur Inspektion nach Österreich gereist ist.

Bei aller Erleichterung über den gelungenen Neustart fährt die Sorge aber weiter mit. Wie lange kann das gut gehen mit der verordneten Selbstisolation im PS-Wanderzirkus, der bis Mitte Dezember noch mindestens 14 weitere Rennen aufführen will? Und kann die Formel 1 ihr wirtschaftliches Überleben trotz schwerer Einbußen und des Corona-Einbruchs der globalen Wirtschaft sichern? „Wir sind in einer absoluten Krisensituation“, sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Fia-Präsident Todt rechnet mit „langfristigen Konsequenzen“ für die Formel 1. Auch die großen Hersteller seien betroffen, viele Menschen würden ihre Arbeitsplätze verlieren. Er hoffe aber, dass dies „in zwei, drei Jahren nur eine außergewöhnliche Erinnerung sein wird“.

Unter dem Druck der Pandemie hat die Rennserie ein Rettungspaket geschnürt. Die neue Budgetgrenze wurde für 2021 noch einmal deutlich gesenkt, die mit hohen Entwicklungskosten verbundene Reform des Regelwerks um ein Jahr auf 2022 verschoben. Doch diese Zukunft ist noch fern, erst einmal muss die Formel 1 die Herausforderungen der Gegenwart meistern.

Auf 81 Seiten hat die Fia die „Richtlinien für die Rückkehr des Motorsports“ nach dem Corona-Stillstand festgeschrieben. Auf dem Red-Bull-Ring, der am nächsten Sonntag auch Gastgeber des zweiten Saisonlaufs sein wird, herrscht Maskenpflicht auch im Freien. Am Eingang wird Fieber gemessen, überall stehen mobile Spender mit Desinfektionsmittel. Alle Beteiligten sind streng in Untergruppen unterteilt, die auch nach Feierabend keinen Kontakt zueinander haben sollen. Das Abstandsgebot ist nur im Rennen auf der Strecke aufgehoben.

„In aller Demut, aber auch mit großem Stolz dürfen wir jetzt ein kleines Stück Renngeschichte schreiben bei uns in Spielberg im grünen Herzen Österreichs“, lässt sich Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz im Streckenblatt „Red Bulletin“ zitieren und erkennt im Wiederbeginn der Raserei einen „Aufbruch in die Freiheit, die wir uns verdient haben“. Für das Regionalblatt „Kleine Zeitung“ ist das seltsame Schauspiel im Murtal ein „Großer Preis des Virus“.

Anders als beim ursprünglichen Saisonstart in Melbourne im März, der nur wenige Stunden vor dem ersten Training wegen eines Corona-Falls beim McLaren-Team abgesagt worden war, blieb die umfassende Testreihe vor dem Grand Prix in Österreich ohne positiven Befund. 4032 Fahrer, Teammitglieder und weitere Mitarbeiter seien überprüft worden, teilte die Formel 1 erleichtert mit.

Zuschauer aber bleiben aus Sicherheitsgründen vorerst ausgesperrt. Polizei-Hubschrauber mit Infrarot-Kameras sollen im Umfeld der Strecke mögliche unbefugte Schaulustige aufspüren. Das strikte Protokoll werde wohl mindestens für die ersten acht Auftritte in Europa gelten, sagte Fia-Renndirektor Michael Masi. „Ich erwarte da keine großen Veränderungen. Wir wollen da beständig für alle kommenden Events sein und das nicht jedes Mal abhängig von der Lage im jeweiligen Land wieder ändern“, erklärte der Australier.

Wie es danach weitergeht, ist noch ziemlich unklar. Acht Rennen genügen zwar laut Reglement, um einen Weltmeister zu küren. Für die Rettung des Großteils der TV- und Sponsorengelder aber sind mindestens 15 Grand Prix nötig. Doch sind die bislang nicht abgesagten Gastspiele in den USA, Mexiko oder Brasilien trotz hoher Infektionszahlen denkbar? „Das kann man sich wirklich nicht vorstellen“, sagt Mercedes-Teamchef Wolff der BBC. Für die Formel 1 hat die Fahrt ins Ungewisse gerade erst begonnen.

© dpa-infocom, dpa:200705-99-679677/4

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