Berlin (dpa)

Dieser gewisse Glamour - Neue Songs von The 1975

Cindy Riechau, dpa
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Von Cindy Riechau, dpa
| 25.05.2020 15:48 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Rock, Hip-Hop, Elektro: Genregrenzen sind ein Fremdwort für die britische Band. Auch auf ihrem neuen Album macht The 1975 selbst vor schmalzigen Popsongs keinen Halt. Sieht so die Provokation der Rockstars von heute aus?

Das Thema Umwelt treibt The 1975 um. Nach dem Ende der Corona-Pandemie will die britische Rockband nicht mehr wie gehabt auf Tour gehen. „Das fühlt sich nicht richtig an“, sagte Frontmann Matty Healy der Deutschen Presse-Agentur.

Auf dem Opener ihres neuen Albums „Notes On A Conditional Form“ ruft die 17-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg dazu auf, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Und schon vor der Pandemie hat die Band Healy zufolge auf Plastik verzichtet. Dabei lässt sich der Kunststoff ja mitunter so gut recyceln wie die Trends der Popmusik. Und darin liegt bekanntermaßen die große Stärke von The 1975.

Wie auf den vorherigen Platten, so unternehmen die Musiker auch auf der neuen Platte wieder Ausflüge in alle möglichen Genres. Die Songs mit Anleihen aus Rock, Pop, Hip-Hop und Elektro klingen, als stammten sie aus verschiedenen Universen. Selbst Boyband-Schmalz und Gospel scheuen die Briten - wieder mal - nicht.

Wie das mit dem Recyceln geht, zeigen die Briten auf dem eingängig-wilden „People“. Der kreischende Gesang und die üppigen Gitarrenwände erinnern an die Durchbruch-Single „Get Free“ der Rockband The Vines aus dem Jahr 2002. War der Hit der Australier damals selbst ein Revival des Garage Rock der 60er und des Grunge der 90er, feiern The 1975 nun also quasi ein Revival des Revivals. Eine Huldigung der „The“-Rockbands der frühen 2000er Jahre inklusive.

An dem Musikvideo des Songs gab es indes viel Kritik. Darin zu sehen ist, wie sich Healy in die Luft sprengt. Angehörige der Opfer des Terroranschlages in Manchester im Jahr 2017 zeigten sich empört. Der dpa sagte der Sänger: „Das Video hat nichts mit Manchester zu tun“. Bei dem islamistischen Selbstmordanschlag nach einem Konzert der Sängerin Ariana Grande wurden 22 Menschen getötet. Healy, selber aus Manchester, betonte, dass er mit den Angehörigen sympathisiere.

Nach „People“ wird es deutlich ruhiger auf dem Album. „Frail State of Mind“ ist ein beschwingt und sommerlich klingender Synthie-Popsong. Der Wohlfühlsound kann dabei leicht darüber hinwegtäuschen, dass aber zumindest der Songtext ernstere Töne anschlägt und von psychischen Problemen handelt, mit denen auch Healy zu kämpfen hat. Der dpa sagte der 31-Jährige, sich in der Corona-Zeit isoliert und depressiv zu fühlen.

„Meine Selbstsucht war lange der Treibstoff für The 1975“, habe er realisiert. Das wollte Healy ändern, wie er sagt. Auf der neuen Platte sei deshalb weniger Ego und dafür mehr Herz zu hören.

Liebeslieder gibt es in der Tat reichlich. „Then Because She Goes“ und „Roadkill“ gehen noch als süßlich-smoothe Indiesongs durch, den Schmalzfaktor hoch schraubt die Band aber so richtig mit dem „Me & You Together Song“. Healy, das musikalische Chamäleon, säuselt hier nicht nur „I've been in love with her for ages“ (Ich bin seit Ewigkeiten in sie verliebt). Das Echo seines Gesangs hallt wider, als wären die Backstreet Boys auferstanden. Das Boyband-Saubermann-Image konterkarieren dann gerade die Lyrics immer wieder. Da reden die Verliebten plötzlich über ihre homosexuellen Außenwirkungen. Das hätte es bei Nick, Howie und Brian aber nicht gegeben.

Dick aufgetragen wird auch bei „If You're Too Shy“, das sich nach einem sphärischen Intro zu einem bombastischen Stadienrocksong im Stil der 80er entfaltet. Ein üppiges Saxophon-Solo darf da natürlich nicht fehlen.

Manche Hörer mögen es als Beliebigkeit, als Provokation empfinden, dass The 1975 mit Healys Heroin-Vergangenheit und dem Badboy-Look nicht nur das Rockstar-Klischee erfüllen, sondern auch butterweiche Popsongs schreiben. Für die Hörer ihrer Generation, die zwar auf Rock stehen, auf 90er-Trash-Partys, aber auch die Songs der Spice Girls mitgrölen, ist der Sound wohl nicht so ein großer Widerspruch. Vielleicht sind die sich auflösenden Kategorien aus dieser Sicht geradezu konsequent.

Und man muss den Briten lassen: Egal welches Genre sie bedienen - sie machen ihre Sache gut und liefern wieder Songs ab, die verfangen, spannend sind und Spaß machen. Es sind, zugegeben, nicht die ganz großen Hits wie auf „A Brief Inquiry Into Relationships“, das im vergangenen Jahr als bestes Album bei den Brit Awards ausgezeichnet worden ist. Aber auch die neuen Tracks haben wieder diesen gewissen Glamour, der The 1975 irgendwie einfach unwiderstehlich macht.

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